21. April 2011

Erregungszustände. Neue Medien, neue Politik, neue Publika - eine Tagung (Berlin)

„Deutschland ist das Land der medialen Dauererregung schlechthin“ schieb Ende 2010 die Neue Zürcher Zeitung. In der Tat fällt es nicht schwer, Stichworte dieser sehr unterschiedlichen Erregungen und Emotionalisierungen zu finden: Schweinegrippe, Joachim Gauck, Stuttgart 21, Missbrauch, Klimakatastrophe, Thilo Sarrazin, „Wutbürger“, Jörg Kachelmann, Karl Theodor zu Guttenberg. Es gibt gute Gründe hinter diesen „Erregungszuständen“ tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen zu vermuten. Sie dürften bereits in den 1970er Jahren begonnen haben, ihre Brisanz dringt aber offenbar erst vierzig Jahre später drastisch ins öffentliche Bewusstsein. Die modernen Medien- und Informationsgesellschaften haben Informationsmengen aufgehäuft, die individuell nicht mehr zu durchdringen sind und neue Formen verlangen.
Data Driven Journalism setzt auf Algorithmen und Recherche; Trimediale Newsrooms verbinden Wort, Bild und Ton ganz neu; der Hauptstadtjournalismus wird offenkundig persönlicher, schneller und zuspitzender, Kurt Imhof prägte schon 2008 den Terminus „Rudeljournalismus“. Und die Jugend will es offenbar boulevardesker. You Tube statt Fernsehen, privat statt öffentlich-rechtlich, Paris statt Angela. Politik und Politiker/-innen stehen unter enormem Veränderungsdruck:
Persönlichkeiten, nicht Parteien faszinieren Zuschauer, Hörer, Leser und letztendlich Wähler (oder eben Nichtwähler); und es gibt – so Stuttgart 21 – offenbar auch einen Wunsch nach mehr direkter politischer Teilhabe.
“A deeper conflict”, schrieb Jürgen Habermas in der New York Times “brewing over our country’s understanding of democracy”. Andere diagnostizieren in der Bevölkerung eine diffuse Unzufriedenheit, ja sogar eine Entfremdung von der „Parallelgesellschaft Politik“ (Norbert Bolz). Und die Mitte fühlt sich bedroht; sie scheint sich von Medien und Politik zu entfernen" - Die Tagung ist hier dokumentiert.