12. November 2022

Bis ins kleinste Dorf. Radioräume und Strukturen

Die Anfänge des Hörfunks in Deutschland waren eher unauffällig. Der erste Sender stand im Obergeschoss des Berliner Vox-Hauses – und nur die Antennen auf dem Dach zeigten, dass hier am 29. Oktober 1923 ein neues Zeitalter begonnen hatte. Die Sendeleistung betrug 0,25 Kilowatt, die Antennen waren kaum zehn Meter
hoch – und die Bodenwellen verbreiteten sich gerade mal über fünf bis zehn Kilometer. Der Hörfunk war ein reines Großstadtmedium: 94 Prozent der ersten Gebührenzahler kamen aus Berlin. Noch 1924 begannen die Planungen für einen repräsentativen Sendeturm, der die ganze Hauptstadt mit Mittelwellenradio versorgen und gleichzeitig zu einem Wahrzeichen für die Stadt und die neue Funkindustrie werden sollte. Am 3. September 1926 wurde der Berliner Funkturm vor 1.000 Gästen eingeweiht. Er hatte 203.000 Reichsmark gekostet, doch seine Sendeleistung blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Fünf Jahre später konnte auch das von Hans Poelzig entworfene „Haus der Rundfunks“ in der Masurenallee bezogen werden. In der Mitte des fünf Millionen Reichsmark teuren Funkpalastes aus roten Ziegelsteinen dominierte der Große Sendesaal mit mehr als 1.000 Plätzen, drum herum lagen die Büros und Studios. Berlin hatte seinen eigenen, hauptstädtischen Hörfunkkomplex.
Auch die acht Regionalsender, die 1924 in „räumlich improvisierten Verhältnissen“ii ihren Betrieb aufnahmen, saßen in Großstädten. Die Mitteldeutsche Rundfunk AG (MIRAG) begann am 2. März 1924 in der „Alten Waage“ am Markt in Leipzig, die Deutsche Stunde kam in München in Räumen des Verkehrsministeriums unter. Auch in Breslau, Frankfurt, Hamburg, Königsberg, Münster und Stuttgart wurde improvisiert. Doch schon bald wurde es in den Funkhäusern eng. 1926 begann die Schlesische Funkstunde mit dem Bau eines eigenen Funkhauses am Stadtrand von Breslau. Das Gebäude kostete 700.000 Mark und überforderte die arme Gesellschaft hoffnungslos. Bald bauten auch die anderen Sender genuine Funkhäuser: München (1929), Hamburg (1931), Berlin (1931), Königsberg (1933). Die Sender erhielten eigene, funktionsgerecht geplante Gebäude. Sie waren Institutionen. 
Bereits 1924 war klar, dass das Deutsche Reich technisch durch neun Sender nicht abgedeckt werden konnte.... (Bis ins kleinste Dorf. Radioräume und Strukturen. In: Diemut Roether, Hans Sarkowicz, Clemens Zimmermann (Hrsg.): 100 Jahre Radio in Deutschland. Bonn (Bundeszentrale für politische Bildung) 2022, S. 30-41)