Anfang 1933 war der Rundfunk in Deutschland noch keine zehn Jahre alt. Er hatte sich lange als ein eher unpolitisches Medium verstanden, doch seit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 änderte sich das rasch. Das Radio wurde politisch. Und es wurde ambitionierter und öffentlicher. Es sendete in die öffentlichen Räume.
Der 1. Mai wurde 1933 erstmals deutschlandweit als „Tag der nationalen Arbeit“ inszeniert. Das Zentrum war Berlin. In der Hauptstadt fanden die beiden wichtigsten Maikundgebungen statt. Morgens sprach Joseph Goebbels im Berliner Lustgarten vor 120 000 Jugendlichen, abends trat Adolf Hitler vor rund 1,5 Millionen Zuhörern auf dem Tempelhofer Feld auf. Hunderte von modernsten Lautsprechern übertrugen die Rede in Berlin – und der Rundfunk übertrug die Veranstaltung live ins ganze Reich. Aber dies war nicht alles.
Radiotag 1. Mai 1933
Der 1. Mai 1933, ein Montag, war auch ein – bisher so nie dagewesener – Radiotag, ein „medialer Paukenschlag“ (Gerhard Paul), ein akustisches Gesamtkunstwerk. 16 Stunden, von 8.50 Uhr bis 1 Uhr nachts, widmete sich der Hörfunk – überwiegend in Wortbeiträgen – dem Thema Arbeit. Ein einzigartiges durch das Radio getaktete Ensemble entstand. Denn die Rundfunkbeiträge standen auch im Mittelpunkt von tausenden lokalen Maiveranstaltungen in ganz Deutschland. Die Hauptstadt und das Land versammelten sich - erstmals - um die überall aufgestellten Lautsprecher. Berlin und der Rundfunk gaben die Zeiten, den Rhythmus und die Inhalte vor. Und das Land orientierte sich daran. Auch im Kreis Wittgenstein. Auch in Laasphe
Lautsprecher, Fahnen, Tannengrün
Laasphe wurde eigens für den Tag der nationalen Arbeit feierlich herausgeputzt. „Wer in der vergangenen Woche im Stillen Zeuge der mannigfachen Vorbereitungen zur Feier der nationalen Arbeit werden durfte“, beobachtete die „Wittgensteiner Zeitung“ (WZ), „ahnte es voraus. Fast kein Haus, das nicht im feierlichen Schmuck der Fahnen prangte“. An den Dachgiebeln und Fenstersimsen hingen rot-weiße und Hakenkreuzfahnen, an „allen“ öffentlichen Gebäuden „mächtige Hakenkreuze aus frischem Tannengrün“. Hörplätze wurden eingerichtet.
Das Fest der 3000
Laasphe begann den „Tag der nationalen Arbeit“ mit einem Feldgottesdienst auf dem Schulhof der neuen Volksschule. Einwohner, die Belegschaften der örtlichen Werke und der Amalienhütte nahmen teil. Ab 9 Uhr hörten die Schüler in den Schulen die Übertragung aus Berlin – pflichtgemäß. Um 10 Uhr folgte ein Festakt in der Aula der Aufbauschule – hier saßen Angehörige der Schüler, Lehrerkollegen, SA und SS. Die Teilnehmerzahl war beschränkt. Eintrittskarten waren nötig. Unter den Gästen befand sich Seine Durchlaucht Fürst August zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein. Auch die Aula war geschmückt, vor dem Rednerpult war ein Bild des neuen Laaspher Ehrenbürgers Adolf Hitler aufgestellt, an der Orgel war ein Bild Horst Wessels befestigt. Und dann hatte auch Laasphe eine Horst-Wessel-Schule, die in der „Adolf Hitlerstraße“ (so eine damalige Schreibweise) lag.
Laasphe war am morgen medial zweigeteilt. „Für Nichtteilnehmer am Festakt“, so heißt es im Programm für den 1. Mai, gibt es die „Radioübertragung“ aus Berlin. Und so ist es wohl auch gekommen: „Während des Festaktes“ in der Schule hörte eine große Zahl der Festteilnehmer in den Wirtschaften und in der Turnhalle die Ansprachen von Goebbels und Hindenburg und dann etwa die „Hörberichte deutscher Arbeiter in Berlin.“ Alles war genauestens geplant. In der Turnhalle versammelten sich die Niederlaaspher, die nähere Umgebung und die Gaststättenlosen. Eigentlich sollten auch auf dem Wilhelmsplatz Lautsprecher stehen und Berlin übertragen. Doch sie fehlten am Vormittag aus unbekannten Gründen. Man war verärgert. „Die zahlreichen auswärtigen Besucher, die sich dort versammelt hatten, mussten enttäuscht auf die Übertragung verzichten“.
Mittags dominierte in Laasphe das Radio. Das Platzkonzert der Weifenbacher Kapelle war beendet, die nächste Gesangsvortrag sollte erst später folgen. Bereits Ende April hatte der „Reichsverband deutscher Rundfunkteilnehmer“ dazu aufgerufen, auch die Lautsprecher in die Fenster zu stellen. Und die Laaspher (es gab dort damals 170 Radiogeräte) haben das offenbar auch sehr intensiv getan. „Während der Mittagspause“, so hielt die WZ fest, sah man „allenthalben in den Straßen größere und kleinere Gruppen von Festteilnehmern stehen, die sich die Funkberichte und Konzerte aus der Reichshauptstadt anhörten“. Aber nicht nur in Laasphe war der Mai-Rundfunk vielgehört. Aus Erndtebrück vermeldete ein Korrespondent: „Dicht gedrängt umstanden die Zuhörer die beiden Lautsprecher am Adolf Hitler-Platz und lauschten den Übertragungen aus der Reichshauptstadt schon vom frühen Morgen an“.
Baumpflanzungen und -weihungen
Der 1. Mai war im Kreis Wittgenstein ein Tag der Baumpflanzungen und Baumweihungen. In Hesselbach wurde eine Hitler-LInde gepflanzt, in Banfe eine Hitler-Eiche. Herbertshausen taufte eine Hitler- und eine Hindenburg-LInde und Feudingen weihte gleich Schlageter- und Horst-Wessel-Bäume sowie eine Hitler-Linde. Auch in Laasphe pflanzte man zwei Bäume, eine Hindenburg- und eine Hitler-Linde vor der Volksschule. Der Landrat und der NSDAP-Kreisleiter hielten Festreden. Der Männergesangverein „Eintracht“ begleitete die Aktion. Es war 15 Uhr.
Der Abend des 1. Mai 1933
Der eigentliche Höhepunkt an diesem „Tag der nationalen Arbeit“ aber war der Abend. Gegen 20 Uhr betrat Hitler in Berlin die Bühne und hunderte Lautsprecher und der Rundfunk übertrugen ihn: „Deutsche Volksgenossinnen und Volksgenossen. Der Mai ist gekommen …“. Es war zeitgleich auch im Kreis Wittgenstein zu hören. In Niederlaasphe versammelte man sich in einer Gastwirtschaft zum gemeinsamen Hören, in Laasphe verteilte man sich. „Den Staatsakt auf dem Tempelhoferfeld und die Proklamation des Herrn Reichskanzlers hörten viele auf dem Wilhelmsplatz und in der Turnhalle, während andere in den Wirtschaften und zu Hause der Übertragung beiwohnten“, berichtete die Wittgensteiner Zeitung. Hitler redete in Berlin 1 Stunde und 48 Minuten. Und auch in Laasphe vernahm man gegen Ende der Proklamation die von Hitler mit heiserer Stimme geschrienen religiösen Formeln: „Herr nun segne unseren Kampf um unsere Freiheit“ und die „Heil“-Rufe vom fernen Tempelhofer Feld. Man hörte sie an verschiedenen Orte, aber alle hörten dasselbe – und brachen dann auch hier massenmedial gestimmt zu einem „nach Tausenden zählenden Fackelzug“ aller Verbände von der Volksschule aus auf. Dann ging es durch König- und Gartenstraße zum Ehrenmal auf dem Steinchen. Am Anfang des Zuges ging die Weifenbacher Kapelle. Dann folgten SA, SS, NSBO, HJ, NSDAP, Stahlhelm, Kriegerverein, Feuerwehr, Sanitätskolonne, Gesangverein Sangeslust Laaspherhütte, Belegschaften, Männergesangverein Eintracht, Spielmannszug der Turnerschaft, Turnverein, Wandervogel, Luisenbund, Fußballklub, Gesangverein Liedertafel, Volksschule, Mittelschule, Aufbauschule, Schützenerein, sonstige Verbände. Es war – so die WZ – eine „riesige Menschenschlange, die sich in straffer Disziplin unter einem Meer von Fahnen hindurchbewegte“.
Bis in die kleinsten Dörfer
Es war offenbar nicht leicht, die nötigen Lautsprecher aufzubringen. In Schameder etwa musste der Volksschullehrer sein privates Gerät zur Verfügung stellen, damit die Schüler die Berliner Jugendveranstaltung mithören konnten. Eine Pflichtaufgabe.
Das modernste Massenmedium
Das Radio war 1933 noch immer ein sehr neues Medium und Joseph Goebbels schätzte „das allermodernste und allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument“ sehr. Die Zeitgenossen hatten der – wie es der Medienforscher Emil Dovifat einmal ausdrückte - „suggestiven Überwältigung durch den Rundfunk“ wenig entgegenzusetzen. Der 1. Mai 1933 war der erste Versuch, Volksgemeinschaft massenmedial zu inszenieren. Schon im Vorfeld gab es – so berichtete etwa der „Hinterländer Anzeiger“ aus Biedenkopf - eine „eindrucksvolle Propaganda durch Presse, Werbekolonnen und Rundfunk“
Von den lokalen Veranstaltungen wissen wir heute wenig, die Reaktionen der Menschen sind weitgehend unbekannt, Bilder sind heute rar. „Unsere Stadt sah gestern die erhebendste Feier seit ihrem Bestehen“, schwärmte der Beobachter in der WZ. Aus Feudingen wurde von 4000 Teilnehmern berichtet. Die Verbindung von Großveranstaltung und Radioübertragung jedenfalls war nach diesem 1. Mai 1933 etabliert. Wieder und wieder wurden solche Events – top-down - veranstaltet.
Doch der 1. Mai 1933 veränderte nicht nur die massenmediale Beeinflussung. Im Schatten des „Tags der nationalen Arbeit“ wurden am 2. Mai die Gewerkschaftshäuser besetzt, die freien Gewerkschaften zerschlagen.© Dr. Hans-Jurgen Krug 2023